Hier versuchen wir mal einen kurzen Überblick über das Gedächtnis, seine Arbeitsweise und die unterschiedlichen Funktionen, den Einfluss von Cannabis zu geben. Aber natürlich bleibt dies auch nur ein Überblick, denn die Forschung ist so vielfältig, dass wir sie nicht umfassend darstellen können. Macht Euch selbst ein Bild:
Wir haben viele Sachen, nicht nur Radfahren, einmal gelernt und können es nun ein Leben lang. Wir können uns an bestimmte Ereignisse erinnern, aber manchmal fallen uns Namen und Begrifflichkeiten nicht ein. Hat das etwas mit Cannabis zu tun? Könnte sein…
Schauen wir uns mal an, was das ist, das Gedächtnis.
Die Sinnesorgane versorgen das Gehirn pausenlos mit Eindrücken aus der Umwelt. Um eine Überlastung zu vermeiden, sortiert es vor, speichert, was ihm wichtig erscheint und löscht alles andere. Dazu hat es mehrere Instanzen.
Das sensorische Gedächtnis wird auch Ultrakurzzeitgedächtnis genannt, da es Informationen nur ca. 1–2 Sekunden speichert. Durch diese kurze Speicherung können wir ganze Sätze bilden und uns erinnern, was gerade gesagt wurde.
Das Arbeits- oder Kurzzeitgedächtnis speichert Informationen bis zu einigen Stunden, sodass wir uns merken können, was wir über Tag gemacht haben. Unerlässlich für die Bewältigung unserer alltäglichen Aufgaben.
Das Langzeitgedächtnis speichert, ab, was häufiger benötigt wird, bestenfalls verknüpft mit Gefühlen. Diese Erinnerungen, bleiben viele Jahre lang, oder sogar „für immer“. Manches davon können wir abrufen, wann wir wollen, das nennt man den deklarativen Gedächtnisteil, anderes bedarf eines „Netzwerkanstoßes“, einer Verbindung, die Erinnerungen weckt.
Diese Gedächtnisteile liegen nicht in klar abgrenzbare Strukturen im Gehirn vor, sondern sind ein Netzwerk von Nervenzellen, das sich über verschiedene Hirnbereiche erstreckt. Für den Gedächtnisteil, der sich gelernte Abläufe merkt, sind z. B. die Basalganglien zuständig, während für die Speicherung des Allgemeinwissens vor allem die Amygdala und der Hippocampus wichtig sind. Die zum Zwischenhirn gehörige Corpora mammilaria sorgt dafür, dass Erinnerungen wieder abgerufen werden können. Ein sehr komplexes System, in dem alle miteinander arbeiten muss, damit es funktioniert.
Für eine Einschränkung der Gedächtnisleistung, ein nicht so gutes Funktionieren sorgen z. B. Müdigkeit und Stress, aber auch Flüssigkeitsmangel, Medikamente, Verletzungen können dazu führen, dass Systemstörungen auftreten.
Wie alle Organtätigkeiten lässt auch die Funktion des Gehirns im Alter nach. Schon ab dem 30. Lebensjahr fällt es uns schwerer, neue Dinge zu lernen.
Vergesslichkeit, die nur ab und zu mal vorkommt, ist kein Grund zur Sorge.
Folgende Punkte können als Groborientierung gelten, um Vergesslichkeit noch als eher „normale“ einordnen zu können
Vergesslichkeit
Nachdenken hilft, eine Antwort zu finden (im Gegensatz zu Fragen werden mehrfach wiederholt, auch wenn die Antwort bereits genannt wurde)
Einzelheiten werden vergessen (im Gegensatz zu Komplette Abläufe werden vergessen)
Gegenstände werden gedankenlos irgendwo abgelegt (Im Gegensatz zu Gegenständen werden unsinnig „aufgeräumt“, z. B. der Geldbeutel im Gefrierschrank oder die Brille in der Waschmaschine)
Bei kurzfristiger Ratlosigkeit kann Hilfe eingeholt werden (im Gegensatz zu Die Fähigkeit zur Problemlösung ist verloren gegangen)
Tritt Vergesslichkeit gehäuft auf oder trifft einer der oben genannten (im Gegensatz dazu) Punkte zu, sollte zur Sicherheit ein Arzt aufgesucht werden, um abzuklären, ob es eine behandlungsbedürftige Ursache gibt.
Cannabis und die Gedächtnisleistungen
Viele Studien beschäftigen sich mit dem Gedächtnis unter dem Einfluss von Cannabis. Manchmal an Menschen, manchmal an Tieren. Die Ergebnisse sind oft sehr unterschiedlich, abhängig von vielen Variablen, der Dauer und dem Beginn des Konsums oder der Menge, um nur einige zu nennen.
Eindeutige Ergebnisse zu Gedächtnis und Cannabis gibt es leider nicht
Hier mal einige kurze Zusammenfassungen/Benennungen von Studien die lesenswert sind:
Erforscht wurde das Gedächtnis unter Cannabis zum Beispiel vom griechischen Forscher Lambros Messinis und sein Team vom Universitätskrankenhaus Patras in einem Test zur Ermittlung der Entscheidungsfähigkeit. Personen mit über 10-jährigem Dauerkonsum hatten besonders schlechte Punktwerte (70 Prozent unter der Norm), Personen mit einer Konsumerfahrung zwischen 5 und 10 Jahren hatten eine geminderte Leistung (um 55 Prozent), Personen ohne Konsum zeigten nur sehr geringe Beeinträchtigungen (um 8 Prozent unterhalb des Normalwertes). Messinis, Lambros & Malegiannaki, Amaryllis & Lyros, Epameinondas & Papathanasiou, Athanasios & Papathanasopoulos, Panagiotis. (2011). Cannabis use and memory in humans: review of the literature.
Catherine Montgomery und John Fisk haben Auswirkungen auf den Alltag miteinbezogen, erhoben Hirnleistungstests und spezielle Fragebögen ausfüllen, in denen sie Angaben zu ihrem Alltagsgedächtnis machen mussten. Diese Angaben wurden daneben nochmal als Fremdeinschätzungen erhoben. Im Labor zeigten sich dabei keine bedeutsamen Unterschiede, also kein Einfluss auf die Leistungsfähigkeit des Gehirns, allerdings wurde hier die Dauer des Konsums nicht erhoben. Allerdings gab es deutliche Effekte auf den Alltag der Konsumierenden, signifikant häufiger Fehlleistungen im Alltag, die sich mit der Fremdeinschätzung deckten. Vielleicht können Cannabiskonsumenten sich auf eine Sache fokussieren und gleiche Leistungen wie abstinente Personen abliefern, lassen sich im Alltag aber leicht überfordern und ablenken?
Emma Wadsworth und ihr Team wollten noch mehr Alltagstauglichkeit untersuchen und haben eine Woche lang sowohl vor als auch nach der Arbeit mit einer ganzen Batterie an psychologischen Tests untersucht. Anfangs zeigten sich kaum Unterschiede, gegen Ende konnten sich die abstinenten Personen in komplexen Tests, bei denen es auf die Reaktionsgeschwindigkeit ankommt, kontinuierlich verbessern. Die Konsumenten nicht, sie wurden von Tag zu Tag schlechter. Vermutet wurde, dass kognitive Defizite, die eine Folge langjährigen Konsums sein können, oft nicht so offensichtlich sind und sich erst unter Belastung zeigen, wenn die Personen sich müde fühlen.
Harrison Pope und sein Team nimmt mit einer umfangreichen Untersuchung dem Ganzen ein wenig den Schrecken. Auch bei Dauerkonsumierenden waren lt. dieser Studie nach einer Abstinenzphase von 28 Tagen keine Defizite mehr in der kognitiven Leistungsfähigkeit feststellbar.
Gary L. Wenk schrieb im Jahr 2016, Cannabiskonsum könne Alzheimer vorbeugen, aber nur, wenn man es nicht in jungen Jahren konsumiere und auch nur in Microdosierungen mit ausgeglichenem THC / CBD Gehalt. https://www.psychologytoday.com/gb/blog/your-brain-food/202002/something-amazing-was-discovered-hiding-inside-marijuana
Tan H, Lauzon NM, Bishop SF, Chi N, Bechard M, Laviolette SR. Cannabinoid transmission in the basolateral amygdala modulates fear memory formation via functional inputs to the prelimbic cortex. J Neurosci. 2011 Apr 6;31(14):5300-12. doi: 10.1523/JNEUROSCI.4718-10.2011. PMID: 21471365; PMCID: PMC6622725. legt dar, wie stark das Cannabinoid-CB1-Rezeptorsystem an der Kontrolle der assoziativen Angstgedächtnisbildung innerhalb des Amygdala-präfrontalen kortikalen Signalwegs beteiligt ist.
Eine Studie von Jordi Riba geht davon aus, dass eine erhöhte Anfälligkeit für falsche Erinnerungen eine neurologische Grundlage hat, bei der bestimmte Hirnareale betroffen sind. Diese Hirnareale, u.a. der Hippocampus, seien durch langjährigen Cannabiskonsum in ihrer Funktion beeinträchtigt / verlangsamt. Bemerkenswert war hier, dass dies noch 4 Wochen nach Konsumenede nachgewiesen werden konnte. Die Studie vom April 2015 mit dem Titel „Telling True from False: Cannabis Users Show Increased Susceptibility to False Memories“ wurde in der Zeitschrift Molecular Psychiatry veröffentlicht.
Riba, J., Valle, M., Sampedro, F., Rodríguez-Pujadas, Martínez-Horta, S., Kulisevsky, J. & Rodríguez-Fornells, A. (2015). Telling true from false: cannabis users show increased susceptibility to false memories. Molecular Psychiatry, doi: 10.1038/mp.2015.36. Hier wurde festgestellt das Cannabiskonsumenten, noch leichter als Nicht Konsumenten, falsche Erinnerungen produzieren können.
Hier noch einige spannende Artikel (und es gibt noch viele mehr…)
Übersicht über aktuelle Magnetresonanztomographie (MRI), 2011, Studien zur Wirkung von Cannabis auf das Gehirn durch eine systematische Literaturrecherche mit Pubmed. Ergebnissen. (37 Originalarbeiten, 97 % zwischen 2004 und 2010 publiziert) Die widersprüchlichen Ergebnisse in fMRI Hirnaktivierungs-Mustern von Cannabiskonsumenten zeigen eine vernderte neuronale Plastizität, ohne
dass eine Aussage getroffen werden kann, ob dies günstige oder ungünstige Auswirkungen hat. (SUCHT 57 (3) 2011 Verlag Hans Huber, Hogrefe AG, Bern, D. Hermann: Wirkung von Cannabinoiden auf das Gehirn: Ein Überblick über MRI Befunde) https://doi.org/10.1024/0939-5911.a000108
Größeres Volumen der grauen Substanz in den Basalganglien starker Cannabiskonsumenten, nachgewiesen durch Voxel-basierte Morphometrie und subkortikale volumetrische Analyse, Psychiatrie, 3. Mai 2018, Ana Moreno-Alcázar, Strukturelle Bildgebungsstudien von Cannabiskonsumenten haben Hinweise auf Volumenreduktionen sowohl kortikaler als auch subkortikaler Art gefunden, insbesondere in Regionen mit hohem Cannabinoidrezeptorgehalt wie Hippocampus und Amygdala. Die Ergebnisse waren jedoch nicht konsistent. Die Ergebnisse dieser Studie sind von großem Interesse, da sie darauf hindeuten könnten, dass bei Cannabiskonsumenten festgestellte Gehirnveränderungen durch genetische Faktoren und nicht ausschließlich durch den Drogenkonsum erklärt werden können. https://www.frontiersin.org/people/u/422008
Basavarajappa BS, Nagre NN, Xie S, Subbanna S. Elevation of endogenous anandamide impairs LTP, learning, and memory through CB1 receptor signaling in mice. Hippocampus. 2014 Jul;24(7):808-18. doi: 10.1002/hipo.22272. Epub 2014 Mar 28. PMID: 24648181; PMCID: PMC4077345. Lernen und Gedächtnis durch CB1-Rezeptor-Signalisierung bei Mäusen,
Morgan CJ, Schafer G, Freeman TP, Curran HV. Impact of cannabidiol on the acute memory and psychotomimetic effects of smoked cannabis: naturalistic study: naturalistic study [corrected]. Br J Psychiatry. 2010 Oct;197(4):285-90. doi: 10.1192/bjp.bp.110.077503. Erratum in: Br J Psychiatry. 2010 Nov;197:416. PMID: 20884951. Einfluss von Cannabidiol auf das akute Gedächtnis und psychotomimetische Wirkungen von gerauchtem Cannabis: naturalistische Studie: naturalistische Studie.
https://doi.org/10.3389/fpubh.2019.00311, Studie von Skyler Shollenbarger, 2019, Intrinsische frontolimbische Konnektivität und Stimmungssymptome bei jungen erwachsenen Cannabiskonsumenten
https://doi:10.1007/s00213-020-05624-7. Philipp Spehler, 2020, Längsassoziationen zwischen Amygdala-Reaktivität und Cannabiskonsum bei einer großen Stichprobe von Jugendlichen.
Hier findet Ihr 14 Artikel weitere Artikel zu Auswirkungen des Endocannabinoidsystems auf das Gedächtnis: https://www.frontiersin.org/research-topics/119/the-endocannabinoid-system-a-key-modulator-of-emotions-and-cognition#articles
Eine umfassende Darstellung aller Studien und Meinungen ist uns leider nicht möglich, aber wir hoffen wir konnten Euch einen kleinen Einblick zu Gedächtnis und Cannabis geben.