Das Thema
Cannabinoide bei Schmerzen ist nach wie vor umstritten.
Nach den derzeit aktuellen Leitlinien (CPGs) der Weltschmerzorganisation, der International Association for the Study of Pain (IASP) aus dem Jahr 2015 und der Richtlinien der European Society for Medical Oncology (ESMO) seien die Auswirkungen als Add-on zur Opioidtherapie bei fortgeschrittenen Krebsschmerzen unklar und würden daher nicht als Standardtherapie betrachtet. Allerdings wurden viele Forschungsergebnisse erst nach deren Veröffentlichung zugänglich. Insgesamt scheinen einige Daten bei den CPGs nicht schlüssig, berücksichtigen aktuelle Erkenntnisse nicht und legen auch zu wenig Wert auf nicht-pharmakologische Strategien.
Aktuelle Studien zeigen, dass Menschen, die unter Kopfschmerzen leiden, auch eine beeinträchtigte Funktion des Endocannabinoid-Systems haben können. Dies deutet darauf hin, dass Cannabinoide ein wirksames Medikament in dieser Indikation sein könnte. Ein weiterer Vorteil ist ihre potenzielle Wirkung auf Symptome, die häufig mit Migräne einhergehen, wie Übelkeit, Erbrechen und Angstzustände gelindert werden. (Medical Cannabis for Headache Pain: a Primer for Clinicians) Da die Mehrheit der Studien marginale Vorteile oder nicht signifikante Auswirkungen bei chronischen Schmerzen zeigt, muss dieser Aspekt des Cannabinoidkonsums noch gründlicher bewertet werden. Um eine Cannabinoidtherapie in aktuellen Standards zu etablieren und Empfehlungen in die Leitlinien, möglicherweise in das Register der Europäischen Arzneimittelagentur aufzunehmen, sind größere Stichproben, längere Zeiträume in randomisierten klinischen Studien notwendig. Eine Aufnahme in diese würde die Erstellung von vertretbaren Verschreibungs- und sicheren Verwendungsrichtlinien für
Cannabinoide in der Zukunft erleichtern.
Daneben zeigen sich jedoch in Untersuchungen der US Veterans Health Administration (VHA) (
Chronic pain, cannabis legalisation, and cannabis use disorder among patients in the US Veterans Health Administration system, 2005 to 2019: a repeated, cross-sectional study) eine zunehmende Prävalenz von Cannabiskonsumstörungen bei Patienten mit chronischen Schmerzen. Insbesondere die Freigabe von Cannabis zum Freizeitkonsum durch eine staatliche Legalisierung führte zu einer Steigerung von Cannabiskonsumstörung bei Patienten mit chronischen Schmerzen. Dies könnte ein Problem für die öffentliche Gesundheit darstellen, vornehmlich bei älteren Altersgruppen. Angesichts der Kommerzialisierung von Cannabis und der weit verbreiteten öffentlichen Überzeugung über seine Wirksamkeit ist eine klinische Überwachung des Cannabiskonsums und eine Diskussion über das Risiko einer Cannabiskonsumstörung bei Patienten mit chronischen Schmerzen gerechtfertigt.
In Deutschland wird bei
Schmerzpatienten aufgrund der derzeitigen Studienlage zur Wirksamkeit, als auch der Ergebnisse der Begleiterhebung, zunächst die Anwendung eines oral wirksamen Cannabispräparats (Dronabinoltropfen, Nabiximols-Spray oder ölige Vollextrakte) bevorzugt. Akute Effekte einer Inhalation werden vermieden, die Praktikabilität der oralen Einnahme ist im Alltag der Patienten ist in den meisten Fällen höher, Wirkdauer und Dosierung sind in der klinischen Erfahrung besser steuerbar. (aus: Cannabis in der Schmerzbehandlung (schmerzgesellschaft.de))
Alles in allem muss bei der Bewertung von Cannabis als Medikament in der Schmerztherapie, neben der Forschung zur Wirksamkeit auch das Risikopotenzial mitberücksichtigt werden. Für Patienten bedarf es einer Aufklärung zu Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten, über Nebenwirkungen und Risiken bei einer Dauermedikation, sowie das Risiko einer unkontrollierten Selbstmedikation in einem legalisierten Freizeitmarkt. Es tut Not an Patienteninformationen zu den Unterschieden, sowie Vor- und Nachteilen gängiger und neuartiger Wege der Verabreichung von Cannabinoiden.
Cannabinoide haben ein großes Potenzial als medizinisch wirksame Therapien. Allerdings sind sie weder Wundermittel noch frei von Nebenwirkungen im physischen und psychischen Bereich. Würden Patienten hier ausreichend aufgeklärt, wären Studien zugänglich und auch für sie verständlich, so könnten Patienten in Abstimmung mit den verschreibenden Ärzten eigenverantwortlicher entscheiden, welche Therapie sie für sich verwenden möchten.
Dieser Artikel soll aufzeigen, wie schwierig die Diskussion zu Cannabis als Medikament sich gestaltet. Forschungsergebnisse müssten deutlich schneller in Leitlinien einfließen und es ist dringend notwendig, den aktuell mehr als nur unzureichenden Zugang zu verständlichen Wissen zu Medikamenten für Patienten endlich freizugeben, um Patienten so mehr in ihre Behandlung einzubeziehen, mehr Eigenverantwortung möglich zu machen.