Zsfg: Herdegen T. internistische praxis 2022; 65: 509-520

Cannabinoide Arzneimittel sind sicherer als Opioide und NSAR. Prof. Dr. ­Thomas ­Herdegen vom Institut für Experimentelle und Klinische Pharmakologie an der Kieler Universitätsklinik bezieht sich dabei auf die Ergebnisse diverser Metaanalysen und Registerstudien sowie auf die Resultate der CaPRis-Studie aus dem Jahr 2018.

Er verweist jedoch darauf, dass zwischen der Inhalation und der oralen Einnahme zu unterscheiden ist. [Wir verweisen auch auf: https://pubs.rsna.org/doi/10.1148/radiol.212611?fbclid=IwAR2MUS2P5fVsdgiZJGzcte5GRWvL_34O8AE1EvJbBVd6q7r887q0nIxllNQ]. Ernste Nebenwirkung treten nach Herdegen vornehmlich beim unkontrollierten Rauchen von Marihuana auf, nicht aber beim oralen Gebrauch synthetischer Cannabinoide oder der Extrakte mit eindeutiger medizinischer Indikation.


In einer kanadischen Studie mit 215 chronischen Schmerzpatienten traten bei oralem Gebrauch folgende leichte bis mittelschwere THC-assoziierte Nebenwirkungen auf:

Kopfschmerz (4,9 %)

Nasopharyngitis (4,5 %)

Übelkeit (4,4 %)

Schläfrigkeit (3,6 %)

Erbrechen (2,1 %)

1–3 % der Patienten hatten, je nach Dosis, eine Abnahme des Blutdrucks mit reflektorischer ­Tachykardie, 0,1–1 % der Nebenwirkungen waren Amnesie, euphorische Stimmung, Schwitzen und Paranoia.

Normalerweise seien aber die Nebenwirkungen vorübergehend und reversibel, können Patienten aber so stark belasten, dass sie zum Therapieabbruch führen.

Häufig sind diese Symptome in der Einstellungs- und Aufdosierphase vorhanden und schwächen sich mit der Gewöhnung dann ab. Darum sollte man darauf achten, dass man zu Beginn so geringe Mengen wie möglich nutzt.

Tempo beim Aufdosieren (cave: fehlendes Einschleichen!)

Dosis

parenterale Applikation (inhalieren oder vaporisieren)

Komedikation mit psychotrop-sedierenden Substanzen (z.B. Opioiden)

Patienten, die in den ersten vier Wochen nicht auf THC ansprechen, sind seiner Auffassung nach als Non-Responder für cannabinoide Arzneimittel anzusehen.

Nicht eingenommen werden sollte bei Schwangerschaft (THC ist plazentagängig), Sucht- und psychischen Erkrankungen, Alter unter 21 Jahren bzw. nicht abgeschlossener Hirnreifung.

Analysen aus dem ­PraxisRegister Schmerz belegen eine relativ gute Verträglichkeit von Dronabinol (THC) als ­Add-on bei Schmerzkranken, aber innerhalb von drei Monaten brachen 20 % von 1.145 Patienten die Therapie aufgrund von Nebenwirkungen ab. Bei 9 % zeigten sich psychiatrische Effekte wie Verwirrtheit, bei weniger als 1 % kam es zu schweren neuropsychiatrischen Nebenwirkungen wie Sucht, Ängsten, Halluzinationen oder Wahn. Bei diesen Daten müsse man berücksichtigen, dass häufig psychiatrische Komorbiditäten sowie die zum Teil sehr umfangreiche Komedikation das Risiko für die unerwünschten Effekte verstärken könne.

Vaporisieren von THC oder von Cannabinoiden aus Blüten führe zu einem schnellen Wirkeintritt, einer schnelleren Bioverfügbarkeit. Hier zeigten sich jedoch auch häufiger psychomotorische Unruhe, Angstsymptomatik, eine Ausbildung schwacher Suchtprozesse. Das synthetische THC-Derivat Nabilon weise, im Vergleich zu THC als Monosubstanz, bei ganz ähnlicher Pharmakokinetik eine deutlich stärkere Wirkpotenz und eine höhere Bioverfügbarkeit auf, erreiche also ein schnelleres Anfluten. (1 mg Nabilon = 7–8 mg THC).

Für sämtliche cannabinoide Arzneimittel gelte, dass bei indikationsgerechter Verordnung die orale und einschleichende Zufuhr ein Höchstmaß an Sicherheit ermöglicht. Dabei sei einer ausgewogenen Gabe von THC/CBD aufgrund der besseren klinischen Verträglichkeit der Vorzug vor einer THC- oder Dronabinol-Monotherapie zu geben. Starten könne man etwa mit 1–3 mg THC abends bzw. 1 Sprühstoß Nabiximol mit nachfolgender Dosiserhöhung alle 2–3 Tage um 1–3 mg/d bzw. um 1 Sprühstoß.

Quelle: Herdegen T. internistische praxis 2022; 65: 509-520