Zum aktuellen Stand der Versorgungssituation in Deutschland
„Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“ (Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz)
Dieses Grundrecht gilt ohne Einschränkung – auch für Menschen, die Cannabis als Medikament benötigen. Der Umgang mit medizinischem Cannabis ist damit nicht nur eine medizinische, sondern auch eine ethische und gesellschaftliche Frage: Wie gelingt es, die Würde und Selbstbestimmung von Patientinnen und Patienten in der täglichen Versorgungspraxis zu achten?
Entwicklung der gesetzlichen Grundlagen
Die rechtliche Einordnung von Cannabis als Medizin hat sich in den vergangenen Jahren schrittweise weiterentwickelt. Sie zeigt einen Weg von Einzelfallentscheidungen hin zu einer strukturierten, gesetzlich geregelten medizinischen Versorgung:
- Bis 10. März 2017: Schwerkranke Menschen konnten beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) eine Ausnahmegenehmigung beantragen, um Cannabisblüten oder -extrakte zur Linderung ihrer Beschwerden zu erwerben. Diese Genehmigungen wurden nur in medizinisch besonders begründeten Situationen erteilt; Anfang 2016 waren etwa 650 Genehmigungen dokumentiert.
- 19. Januar 2017: Der Deutsche Bundestag beschloss einstimmig das Gesetz „Cannabis als Medizin“.
- 10. März 2017: Das Gesetz trat in Kraft. Damit entfiel das bisherige Ausnahmegenehmigungsverfahren. Ärztinnen und Ärzte konnten nun Cannabisarzneimittel regulär verschreiben; die Kostenübernahme durch die gesetzliche Krankenversicherung wurde unter bestimmten Bedingungen ermöglicht.
- 27. März 2024: Das Medizinal-Cannabisgesetz (MedCanG) wurde verkündet.
- 1. April 2024: Das MedCanG trat in Kraft und entkoppelte die medizinische Anwendung von Cannabis rechtlich vom Betäubungsmittelgesetz. Ziel ist eine modernisierte, klar strukturierte Grundlage für die therapeutische Nutzung, verbunden mit mehr Forschung, Qualitätssicherung und weniger bürokratischen Hürden.
Diese gesetzliche Entwicklung war ein wichtiger Schritt hin zu einer humaneren und wissenschaftlich begleiteten Versorgung. Sie ermöglichte Forschung, Schulung und eine zunehmende Entstigmatisierung der Therapie.
Die Realität im deutschen Gesundheitssystem
Die aktuellen Anforderungen an Cannabis-Patientinnen und -Patienten treffen auf ein Gesundheitssystem, das bereits heute an vielen Stellen seine Belastungsgrenzen erreicht hat.
Der Hausarztmangel verschärft sich deutschlandweit, besonders in ländlichen Regionen. Viele Hausarztpraxen nehmen keine neuen Patientinnen und Patienten mehr auf. Die Wartezeiten für Arzttermine haben sich in den vergangenen Jahren deutlich verlängert. Bei Fachärztinnen und Fachärzten sind Wartezeiten von mehreren Wochen bis Monaten keine Seltenheit, auch Hausarzttermine sind oft erst nach längerer Wartezeit verfügbar.
Für Menschen mit schweren chronischen Erkrankungen bedeutet dies eine besondere Belastung. Sie haben bereits zahlreiche notwendige Arzttermine: Kontrolluntersuchungen, Labortermine, Besuche bei Fachärztinnen und Fachärzten, Physiotherapie. Jeder zusätzliche verpflichtende Termin bedeutet weitere Wartezeiten, weitere Anfahrten, weitere Kosten.
Für Patientinnen und Patienten entstehen durch jeden Arztbesuch zusätzliche Ausgaben: Fahrtkosten, Parkgebühren, gegebenenfalls Begleitpersonen, Arbeitsausfall. Bei eingeschränkter Mobilität kommen Taxikosten oder Kosten für Fahrdienste hinzu. Für Ärztinnen und Ärzte bedeuten zusätzliche Pflichttermine mehr zeitlichen Aufwand bei gleichbleibender Vergütung.
In diesem angespannten Umfeld wirken zusätzliche verpflichtende Termine besonders belastend – sowohl für die Betroffenen selbst als auch für die ohnehin überlasteten Praxen.
Herausforderungen in der praktischen Versorgung
Trotz der gesetzlichen Fortschritte bestehen in der Versorgungspraxis weiterhin deutliche strukturelle und organisatorische Hürden:
Schwierige Arztsuche: Viele Praxen lehnen Cannabis-Verschreibungen grundsätzlich ab – aus Unsicherheit, aus Sorge vor Regressen oder aus Zeitmangel. In ländlichen Regionen, wo bereits der allgemeine Ärztemangel besonders ausgeprägt ist, kann die nächste verschreibungsbereite Ärztin oder der nächste verschreibungsbereite Arzt weit entfernt sein. Für Patientinnen und Patienten bedeutet dies: monatelanges Suchen, lange Anfahrtswege, hohe Fahrtkosten.
Mangelnde Fortbildungsmöglichkeiten: Es gibt zu wenige qualifizierte und regelmäßig aktualisierte Fortbildungsangebote zu Cannabinoidtherapien. Die wissenschaftliche Datenlage wächst, wird aber in der Breite des ärztlichen Alltags nur zögerlich umgesetzt. Ärztinnen und Ärzte, die sich dennoch damit befassen möchten, müssen sich das Wissen oft in Eigenregie aneignen – zusätzlich zu ihrem bereits überlasteten Praxisalltag.
Fehlende Leitlinien: Für die therapeutische Anwendung von Cannabis gibt es keine aktuelle S2- oder S3-Leitlinie. Die einzige Orientierung bietet eine „Praxisleitlinie“ der Deutschen Gesellschaft für Schmerzmedizin von 2018, die jedoch keine offizielle AWMF-Leitlinie ist.
Leitlinien sind jedoch entscheidend: Sie geben Ärztinnen und Ärzten Orientierung, Rechtssicherheit und wissenschaftlich fundierte Handlungsempfehlungen. Ohne diese können sie sich nicht auf etablierte Standards berufen, wenn ihre Verschreibung in Frage gestellt wird.
Weitere praktische Probleme:
- Lieferschwierigkeiten und geringe Sortenverfügbarkeit in Apotheken
- Genehmigungsverfahren durch Krankenkassen
- Regressrisiko für Ärztinnen und Ärzte bis zu zwei Jahre nach Verschreibung
Die Situation verschreibender Ärztinnen und Ärzte
Medizinerinnen und Mediziner, die Cannabis verschreiben möchten, bewegen sich in einem Spannungsfeld zwischen medizinischer Verantwortung, rechtlicher Unsicherheit und bürokratischem Aufwand.
Rechtliche Unsicherheit: Ohne klare Leitlinien fehlen eindeutige Kriterien: Wann ist eine Verschreibung gerechtfertigt? Welche Dokumentation ist erforderlich? Was bedeutet „andere Therapieoptionen nicht zumutbar“?
Regressrisiko: Regresse können erst zwei Jahre nach der Verschreibung geltend gemacht werden. Diese lange Phase der Ungewissheit stellt eine erhebliche psychische und finanzielle Belastung dar.
Bürokratischer Aufwand: Dokumentation, Genehmigungsverfahren und Teilnahme an der Begleiterhebung erhöhen den zeitlichen Aufwand erheblich – Zeit, die im ohnehin knappen Praxisalltag fehlt und in der keine Patientinnen und Patienten behandelt werden können.
Die Gesetzesänderung vom Oktober 2025
Am 8. Oktober 2025 beschloss das Bundeskabinett eine Änderung des Medizinal-Cannabisgesetzes mit weitreichenden Konsequenzen für die Versorgungspraxis:
- Erstverordnung nur nach persönlichem Kontakt in der Praxis oder bei Hausbesuch
- Folgeverschreibungen erfordern alle vier Quartale einen persönlichen Kontakt
- Versandverbot für Cannabisblüten durch Apotheken
Die Begründung des Bundesgesundheitsministeriums: Die Importe von Cannabisblüten nahmen im ersten Halbjahr 2025 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um mehr als 400 Prozent zu – von rund 19 auf rund 80 Tonnen. Dies deute auf problematische Verschreibungspraktiken hin.
Auswirkungen auf die Versorgung
Die geplanten Änderungen betreffen Patientinnen und Patienten in ihrer konkreten Lebenssituation. Menschen mit Multipler Sklerose, Krebserkrankungen oder chronischen Schmerzen müssen künftig viermal jährlich eine Praxis aufsuchen – zusätzlich zu allen anderen notwendigen Arztterminen für ihre Grunderkrankung. Dies bedeutet in einem System mit ohnehin knappen Terminen eine erhebliche zusätzliche Belastung durch Wartezeiten, Fahrtkosten und Zeitaufwand.
Versorgungsunsicherheit: Wenn eine Patientin oder ein Patient keinen Termin innerhalb des Quartals bekommt, endet rechtlich die Möglichkeit zur Folgeverschreibung. Die medikamentöse Versorgung ist unterbrochen. Ein chronisch kranker Mensch, der Cannabis zur Schmerzkontrolle, bei Spastik oder gegen Übelkeit einnimmt, steht plötzlich ohne Medikation da – nicht weil die Therapie nicht wirkt, sondern weil kein Termin verfügbar war.
Besondere Belastung in ländlichen Regionen: In Regionen mit Ärztemangel verschärft sich die Situation zusätzlich: lange Anfahrtswege, noch knappere Terminverfügbarkeit, höhere Fahrtkosten. Viele Vor-Ort-Apotheken haben keine oder nur wenige Cannabis-Sorten vorrätig. Das geplante Versandverbot macht zusätzliche Wege zur Apotheke notwendig.
Die Intention der Gesetzesänderung – Fehlentwicklungen einzudämmen – ist nachvollziehbar. Doch pauschale Restriktionen treffen vor allem diejenigen, die bereits verantwortungsvoll und gesetzeskonform mit der Therapie umgehen. Die Verschärfungen erhöhen die Hürden in einem System, das bereits jetzt viele Patientinnen und Patienten nicht angemessen versorgen kann.
Telemedizin zwischen Fortschritt und Reglementierung
Telemedizinische Angebote sind inzwischen in vielen Bereichen fester Bestandteil der Versorgung. Gerade chronisch Erkrankte profitieren von der Möglichkeit, ärztliche Begleitung auch über Distanz fortzuführen. Digitale Sprechstunden für verschiedenste Erkrankungen werden ausgebaut – gerade weil sie das überlastete System entlasten können.
Bei Cannabis-Medikation wird nun ein anderer Maßstab angelegt. Die Begründung lautet, dass einzelne Telemedizin-Plattformen Cannabis zu leichtfertig verschreiben würden. Diese Kritik an einzelnen unseriösen Anbietern mag berechtigt sein. Die daraus gezogene Schlussfolgerung – ein pauschales Verbot für alle – erscheint jedoch unverhältnismäßig.
Es gibt zahlreiche seriös arbeitende Telemedizinportale, die qualifizierte ärztliche Betreuung, ausführliche Anamnesegespräche und Verlaufskontrollen bieten. Ein vollständiges Verbot der telemedizinischen Verschreibung erscheint dabei als undifferenzierte Reaktion auf einzelne Fehlentwicklungen.
Statt eines pauschalen Ausschlusses wären klare Qualitätsstandards die sachgerechtere Lösung:
- Verpflichtende Mindeststandards für telemedizinische Cannabis-Verschreibungen (ausführliche Anamnese, Dokumentation, Verlaufskontrolle)
- Zertifizierung seriös arbeitender Telemedizinportale
- Klare Sanktionen für Anbieter, die gegen Standards verstoßen
- Beibehaltung der Telemedizin für dokumentierte, fortlaufende Therapien und Folgeverschreibungen
- Gleiche Standards wie bei anderen telemedizinischen Anwendungen
Gerade in einem Gesundheitssystem mit Ärztemangel und Terminknappheit könnte regulierte Telemedizin eine sinnvolle Ergänzung sein, die sowohl Patientinnen und Patienten als auch Praxen entlastet.
Rechtliche Einschränkungen für Patientinnen und Patienten
Durch das Konsumcannabisgesetz wurden Patientinnen und Patienten in bestimmten Bereichen rechtlich den Freizeitkonsumenten gleichgestellt. So müssen sie Konsumverbotszonen beachten, auch wenn es um die Einnahme ihrer ärztlich verordneten Medikation geht.
Die Problematik des Eigenanbaus als Alternative: Wenn Patientinnen und Patienten keinen Zugang zu pharmazeutischem Cannabis erhalten oder dieser erschwert wird, stellt sich die Frage nach Alternativen. Der im Konsumcannabisgesetz ermöglichte Eigenanbau birgt jedoch für schwerkranke Menschen erhebliche Risiken:
- Unsachgemäßer Anbau kann zu Schimmelbildung, Verunreinigungen und unkontrollierten Schwankungen im Wirkstoffgehalt führen
- Pharmazeutische Qualität mit gleichbleibenden, kontrollierten Wirkstoffgehalten ist für sichere Therapieerfolge entscheidend
- Schwerkranke Menschen benötigen verlässliche, standardisierte Medikation – nicht experimentellen Eigenanbau ohne pharmazeutische Kontrolle
Ein System, das schwerkranke Patientinnen und Patienten faktisch auf Eigenanbau verweist, setzt sie gesundheitlichen Risiken aus, die bei anderen Arzneimitteln niemals akzeptiert würden.
Die fließende Grenze zwischen Anwendungsgründen
Die aktuelle Debatte zieht eine scharfe Trennlinie zwischen „echten Patienten“ und „Freizeitkonsumenten“. Diese Trennlinie ist jedoch weniger eindeutig, als es zunächst scheint.
Aus medizinischer Perspektive beeinträchtigen chronische Schlafstörungen die Lebensqualität erheblich. Angststörungen und chronischer Stress sind behandlungsbedürftige Belastungen. Die Weltgesundheitsorganisation definiert Gesundheit als „Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens“. Nach dieser Definition sind Menschen mit Schlafproblemen, Angstzuständen oder chronischem Stress durchaus als Patientinnen und Patienten mit Behandlungsbedarf zu verstehen. Die entscheidende Frage sollte lauten: Kann Cannabis diesem Menschen helfen, seine Lebensqualität zu verbessern, und ist es eine verhältnismäßige, verträglichere Alternative zu anderen Medikamenten?
Die Cannabis-Evaluierung zeigt zudem: Legale Bezugswege funktionieren nicht. Cannabis Clubs decken weniger als 0,1 Prozent des Bedarfs. Die geplante Säule 2 mit regulierten Fachgeschäften wurde nie umgesetzt. Wenn Menschen keinen Zugang zu legalem Cannabis haben und gleichzeitig feststellen, dass Cannabis ihnen bei Beschwerden hilft, ist die medizinische Verschreibung der einzige legale Weg. Die steigenden Verschreibungszahlen könnten also auch bedeuten: Cannabis wird als Medikament mit breitem Anwendungsspektrum erkannt, das vielen Menschen mit verschiedensten Beschwerden helfen kann.
Die Cannabis-Evaluierung: Daten und Erkenntnisse
Ende September 2025 wurde die erste offizielle Evaluierung des Cannabisgesetzes vorgelegt und liefert wichtige Erkenntnisse zur tatsächlichen Situation:
Zu den Anbauvereinigungen:
- Anbauvereinigungen decken weniger als 0,1 Prozent des Gesamtbedarfs
- Von benötigten 2.700 bis 3.000 Anbauvereinigungen wurden bis April 2025 nur 222 Genehmigungen erteilt
- Geschätzter Gesamtbedarf 2024: 670 bis 823 Tonnen
- 12 bis 14 Prozent wurden durch medizinisches Cannabis gedeckt
Positive Entwicklungen:
- Konsum bei Erwachsenen blieb stabil
- Bei Jugendlichen ist der Konsum rückläufig
- Keine dramatischen Gesundheitsprobleme durch die Teillegalisierung
- Deutliche Entlastung von Polizei und Justiz
Zentrales Ergebnis: Die Evaluierung stellt fest, dass Anbauvereinigungen „für die vom Gesetzgeber beabsichtigte Verdrängung des Schwarzmarktes bislang keinen relevanten Beitrag leisten“. Die illegale Weitergabe im sozialen Umfeld bleibt die zentrale Bezugsquelle.
Der strukturelle Zusammenhang
Die Evaluierung legt ein grundlegendes Problem offen: Die geplanten legalen Bezugswege funktionieren nicht. Wenn weder Cannabis Clubs noch Fachgeschäfte als legale Bezugswege zur Verfügung stehen und der Eigenanbau nicht für jeden praktikabel oder sicher ist, bleibt für Menschen mit Behandlungsbedarf nur die medizinische Verschreibung als legaler Weg. Die steigende Nutzung medizinischer Verschreibungen ist somit auch eine direkte Folge dieser strukturellen Situation.
Die politische Reaktion darauf erscheint paradox: Statt die nicht funktionierenden legalen Strukturen aufzubauen, wird der einzige funktionierende legale Zugangsweg – die medizinische Verschreibung – erschwert. Dies geschieht in einem Gesundheitssystem, das bereits jetzt an seinen Kapazitätsgrenzen arbeitet.
Konstruktive Lösungsansätze
Eine sachgerechte Verbesserung der Situation erfordert differenzierte Maßnahmen auf mehreren Ebenen.
Für die ärztliche Praxis:
- Entwicklung und Verabschiedung von S2- oder S3-Leitlinien für die therapeutische Anwendung von Cannabis
- Klare, rechtssichere Handlungsempfehlungen und Dokumentationsstandards
- Ausreichende, qualifizierte Fortbildungsangebote
- Schutz vor ungerechtfertigten Regressen
- Verkürzung der Zwei-Jahres-Frist für Regresse
Für das Verhältnis zu Krankenkassen:
- Transparente, nachvollziehbare Genehmigungskriterien
- Schnelle Entscheidungswege
- Rechtssicherheit für Ärztinnen und Ärzte bei erfolgter Genehmigung
Für die Versorgungsstruktur:
- Vereinfachung der Genehmigungsverfahren für Cannabis Clubs
- Umsetzung der Säule 2 mit Modellprojekten für Fachgeschäfte
- Praktikable Lösungen für immobile Patientinnen und Patienten
- Berücksichtigung der realen Situation im Gesundheitssystem bei der Ausgestaltung von Pflicht-Terminen
Für die Telemedizin:
- Verpflichtende Mindeststandards für telemedizinische Cannabis-Verschreibungen
- Zertifizierung seriös arbeitender Telemedizinportale
- Klare Sanktionen für Anbieter, die gegen Standards verstoßen
- Beibehaltung der Telemedizin für dokumentierte, fortlaufende Therapien
- Gleiche Standards wie bei anderen telemedizinischen Anwendungen
Pauschale Maßnahmen treffen vor allem jene, die auf zugängliche Versorgungsformen angewiesen sind: Menschen mit eingeschränkter Mobilität, Patientinnen und Patienten in ländlichen Regionen, Menschen mit chronischen Erkrankungen, die eine etablierte, funktionierende Therapie haben, und Betroffene, die bereits jetzt Schwierigkeiten haben, überhaupt Arzttermine zu bekommen.
Fazit
Die Versorgung von Cannabis-Patientinnen und -Patienten steht an einem kritischen Punkt. Die Evaluierung zeigt: Das Grundkonzept der Entkriminalisierung funktioniert. Was nicht funktioniert, sind die fehlenden legalen Bezugswege.
Die nun geplanten Verschärfungen betreffen reale Menschen mit realen medizinischen Bedürfnissen – und das in einem Gesundheitssystem, das bereits jetzt viele Patientinnen und Patienten nicht angemessen versorgen kann. Jede zusätzliche Hürde, jeder zusätzliche Pflichttermin, jede administrative Erschwernis trifft auf eine Versorgungsrealität mit Ärztemangel, Terminknappheit und überlasteten Praxen.
Patientinnen und Patienten, die Cannabis verantwortungsvoll und medizinisch begründet nutzen, verdienen eine Versorgung, die sich an ihrem Bedarf orientiert – nicht an pauschalen Restriktionen. Was benötigt wird, sind differenzierte Lösungen, die sowohl Missbrauch verhindern als auch legitime Versorgung nicht behindern – und die die reale Situation im deutschen Gesundheitssystem berücksichtigen.
Die Daten der Evaluierung liegen vor. Sie bieten eine fundierte Grundlage für evidenzbasierte politische Entscheidungen. Die Herausforderung besteht darin, aus diesen Daten konstruktive Schlüsse zu ziehen, die allen Beteiligten gerecht werden – Patientinnen und Patienten, Ärztinnen und Ärzten und der gesellschaftlichen Verantwortung. Und die anerkennen, dass gute Versorgung nur in einem funktionierenden Gesundheitssystem möglich ist.
Nur so kann der Grundsatz, der am Anfang steht, auch in diesem Bereich eingelöst werden: Die Würde des Menschen ist unantastbar.