Eine Änderung der Arzneimittel-Richtlinie (AM-RL) § 4a und Abschnitt N §§ 44 bis 46 (Cannabisarzneimittel) war aufgrund der Begleiterhebung der BfArM zu erwarten. Dass diese so belastend für Patienten und Ärzte sein würde, ist jedoch ein Schlag ins Gesicht aller, die sich damit befassen.
Eine kurze Erklärung zu G-BA den Zusammenhängen
Nach § 31 Absatz 6 Satz 9 regelt der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA), das höchste Beschlussgremium der gemeinsamen Selbstverwaltung im deutschen Gesundheitswesen, welche medizinischen Leistungen die ca. 73 Millionen Versicherten beanspruchen können.
Es ist zuständig dafür den Leistungskatalog der Krankenkassen nach dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zu konkretisieren. G-BA setzt sich zusammen aus den Vertretern von vier großen Selbstverwaltungsorganisationen, der Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV), der Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung (KZBV), der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) und dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen (GKV-Spitzenverband). Diese Vertreter der vier Organisationen entscheiden unter der Rechtsaufsicht des Bundesministeriums für Gesundheit über medizinische Leistungen. Alle anderen Organisationen, Patientenvertretungen auf Bundesebene haben ein Mitberatungs- und Antragsrecht, jedoch kein Stimmrecht.
Warum wird die Arzneimittelrichtlinie (AM-L) jetzt neu geregelt?
Auf der Grundlage der Ergebnisse der Begleiterhebung durch das Bundesministerium für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) musste G-BA somit innerhalb von sechs Monaten nach der Übermittlung das Nähere zur Leistungsgewährung in den Richtlinien nach § 92 Absatz 1 Satz 2 Nummer 6 regulieren. Mit dem Gesetz zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher und anderer Vorschriften, das am 10. März 2017 in Kraft getreten ist, wurde § 31 Absatz 6 SGB V ergänzt, wonach Versicherte unter bestimmten Voraussetzungen Anspruch auf Versorgung mit Cannabis in Form von getrockneten Blüten oder Extrakten in standardisierter Qualität und auf Versorgung mit Arzneimitteln mit den Wirkstoffen Dronabinol oder Nabilon haben. Die Erteilung einer Zulassung durch ein Gesetz verhindert die ansonsten für eine Arzneimittelzulassung notwendigen Schritte nicht, hat sie im Falle von Cannabis nur zu Beginn ausgesetzt. Das heißt die Zulassung muss kontinuierlich aktualisiert, Anwendung eines Arzneimittels muss ständig überwacht werden. Bei neuen Arzneimitteln wird die Zulassung nur für eine beschränkte Zeitspanne von üblicherweise fünf Jahren erteilt, in diesem Fall fand fünf Jahre eine Begleiterhebung durch die BfArM statt.
Nun sind in diesen letzten fünf Jahren viele Dinge nicht so gut gelaufen.
Es begann mit dem Fehler andere Medikamente in der Begleiterhebung nicht zu erfassen (konnte nachgebessert werden), ging weiter mit fehlenden Informationen für die Ärzte auf der Seite der BfArM nur in Form von Links/Hinweisen auf Informationen im Ausland zur Verfügung standen und endete in einer sehr unsicheren Situation in Bezug auf Retaxation und Wirtschaftlichkeitsprüfung.
Ärzte die Cannabis verschreiben wollten mussten also sehr mutig, sehr vorsichtig sein und benötigten viel Zeit, um sich durch die Informationen in englischer Sprache zu arbeiten oder viel Vorwissen. Daher gab es anfangs nur wenige Ärzte, die sich das zutrauten und viele Ablehnungen auch für Patienten, die einen dringenden Bedarf hatten und das Medikament Cannabis aufgrund ihrer Indikationen benötigt hätten.
Hinzu kamen Verzögerungen beim Losverfahren der Cannabisagentur zur Regelung des Anbaus von Cannabis in Deutschland, hohe und sehr kostspielige Auflagen für die Herstellung, dann langfristig immer wieder Lieferschwierigkeiten der einzelnen Arzneimittel, eine sehr langsam anlaufende Schulung von Ärzten und Apothekern.
Diese Zeit konnte von besonders cleveren „Patienten“ (Trittbrettfahrern) genutzt werden ihren Freizeitkonsum mit einem Privat-Rezept zu decken, was wiederum stark gewinnorientierte Ärzte auf den Plan brachte die mit Beratungs-, Rezept-, und Folgegebühren kurzfristig eine neue Einnahmequelle nutzten. Vom Gesetzgeber gab es hier kein Mittel einzuschreiten, so dass sich schnell eine „Verschreibungsindustrie“ entwickelte die Patienten mittlerweile sogar digital, ohne jeglichen persönlichen Kontakt mit Rezepten beliefert.
Grundsätzlich wäre diese einfache Form des Zugangs, auch digital, zu Cannabis als Medikament zu befürworten, wäre da nicht die fehlende Sachkunde, die unzureichende Begleitung der Patienten aufgrund der Konzepte der Organisationen die ärztliche Beratung im 30 Minuten Takt verkauft.
Nun wird aufgrund all dieser Entwicklungen von der G-BA mit harter, nicht auf Patientenbedürfnisse eingehender Hand geregelt was von Beginn an vorausschauend und mit Blick auf die Patienten hätte geklärt werden müssen.
Leidtragend sind wie so oft in unserem Gesundheitssystem die Patienten, die einen real nachweisbaren Bedarf an dem Medikament Cannabis haben, in Zukunft aber kaum noch einen Arzt finden werden, der es ihnen verschreibt.
Einblick in die aktuelle Situation klärt so einiges
Ein Mangel an Ärzten, allgemeinen wie Fachärzten sorgt per se schon für lange Wartezeiten. Der Verwaltungsaufwand für die Ärzte, die Cannabis verschreiben wollen, ist jetzt schon hoch und wird durch die Änderung der Arzneimittelrichtlinie mit den darin festgelegten Anforderungen „die Notwendigkeit Cannabisblüten zu verordnen ist besonders zu begründen“ nochmal verschärft. Die „tatbestandlichen Voraussetzungen für die Verordnung von Cannabisarzneimitteln“ muss, wie zuvor auch „anhand der individuellen Situation der Patientin der des Patienten geprüft und die Zweckmäßigkeit des Einsatzes insbesondere mit Blick auf in Frage kommende Therapiealternativen abgewogen werden“. Nun muss der Arzt jedoch auch noch in der Lage sein „zu konkretisieren, ob abhängig vom Verhältnis des Gehaltes von THC zu dem von CBD die Verordnung eines
- THC-dominanten (THC:CBD ≥2:1),
- ausgewogenen (THC:CBD <2:1 bis 1:<2) oder eine
- CBD-dominanten (THC:CBD 1:≥2 (THC > 0,2 %))
Produktes beabsichtigt ist. Der Zuordnung in die einzelnen Klassen liegt die Gehaltsbestimmung nach den entsprechenden Monographien des DAB zugrunde.“
Das setzt ein großes Wissen seitens der Ärzte voraus, welches so bei keinem anderen Arzneimittel verlangt wird. Bei allen anderen Medikamenten verlässt sich der Arzt auf die Beschreibungen der sogenannten „Roten Liste“. Die Auswahl der Medikamente ist heutzutage in den digitalen Anwendungsprogrammen der Praxen fast schon automatisiert, beeinflusst nur von Besuchen der Pharmareferenten und Vorerfahrungen mit diesen Medikamenten.
Auch gibt es bei kaum einem anderen Medikament die Auflage nach Absatz 3 die Zweckmäßigkeit einer Weiterbehandlung innerhalb der ersten drei Monate engmaschig zu beurteilen. Wäre das der Fall, würde eine sicher sinnvolle engmaschige Begleitung des Patienten auch bei anderen Medikamenten stattfinden wäre die Anzahl Medikamentenabhängiger geringer und die Notwendigkeit Apotheken mit der Medikamentenplanerstellung zu beauftragen nicht gegeben. Somit wäre eine solche Auflage für viele Verordnungen sinnvoll, wäre da nicht die geringe Beratungspauschale für Ärzte, die allgemeinen Schwierigkeiten mit der Krankenkasse Patientenfreundliche und verantwortungsbewusste Leistungen angemessen abzurechnen.
So finden oft eben nicht die geforderten regelmäßigen Abstände, d. h. mindestens quartalsweise Kontakte mit Ärzten statt, geschweige denn anamnestische, Wirkungen eruierende und vertrauensbildende Gespräche, die eine Arbeitsbeziehung zwischen Arzt und Patient herstellen würden.
Regelungen die sinnvoll sind und trotzdem unangemessen
Sinnvoll wäre genau das geforderte Vorgehen, angemessen entlohnt, bei allen Medikamenten, nämlich „Art, Dauer und Ergebnis des Einsatzes von Cannabisarzneimitteln sind durch die verordnende Ärztin oder den verordnenden Arzt in ihrer bzw. seiner Patientenakte zu dokumentieren, dabei stellt die patientenberichtete Einschätzung einen Teil der Erfolgskontrolle dar.“. Leider ist aufgrund der Situation der Ärzte, pandemiebedingt, Überalterung alteingesessener Ärzte, Nachwuchsprobleme und nicht zuletzt die Regelung der Entlohnung, eine intensivere Beschäftigung mit dem Patienten kaum möglich, wollen sie mit ihrer Praxis ihren Lebensunterhalt bestreiten.
Genehmigungsvorbehalt, ein leidiges Thema
Schwierigkeiten ergeben sich auch durch den Genehmigungsvorbehalt. Während er im Zusammenhang mit der genehmigten SAPV als bloßer Formalismus zu sehen ist, gilt er für die ambulante Fortsetzung einer stationär begonnenen Behandlung mit einem Cannabisarzneimittel weiterhin. Der ambulant behandelte Patient muss im Anschluss an den Krankenhausaufenthalt also nicht nur schnell einen ihn weiter behandelnden Arzt der sich eine Cannabisverschreibung zutraut finden, sondern auch noch einen der schnell mit ihm den Genehmigungsvorbehalt klärt. Diese Patientengruppe unterscheidet sich zwar von der Patientengruppe SAPV Versorgter dadurch, dass nicht generell davon ausgegangen werden kann, dass die schwerwiegende Erkrankung in der Regel so weit fortgeschritten bzw. so schnell fortschreitend ist, dass die Lebenserwartung auf Tage, Wochen oder Monate gesunken ist, jedoch meist nicht in ihren Einschränkungen durch die Erkrankung. Auch wenn also die Anschlussversorgung mit der verkürzten Entscheidungsfrist umgesetzt werden kann, muss der Patient selbst aktiv werden, was ihm häufig, krankheitsbedingt nicht mit der notwenigen Energie möglich ist.
Teil – und Unwissen gepaart mit Bürokratie, eine schlechte Mischung
Eine weitere Hürde für Arzt und Patient ist die bürokratische Zuordnung in Produkte in verschiedene in § 44 Absatz 3 Satz 4 definierten Produktklassen. Hier werden nicht nur die Leitinhaltsstoffe CBD und THC unterschieden, sondern auch die Verwendungsformen in Extrakten und Blüten. Grundsätzlich kann man zwar von anderen Produkten ausgehen, aber missverstanden wird hier das es grundsätzlich derselbe Wirkmechanismus der Behandlung mit Cannabis ist. Die Unterscheidung der Anflutung und der Wirksamkeit der weiteren in Cannabis enthaltenen Inhaltsstoffe, die sich bei der Anwendung von Fertigarzneimitteln, Blüten und Extrakten unterscheiden sollte daher keinen Genehmigungsvorbehalt bei einem Wechsel beinhalten. Hier zeigt sich nur erneut, wie wenig selbst die G-BA über das Medikament Cannabis weiß, wie festgefahren wir in den bürokratischen Regelungen sind und wie wenig es letztendlich um die Verbesserung der Lebenssituation von Patienten geht.
Der Wechsel des Cannabisarzneimittels wird selten aufgrund von Verträglichkeitsaspekten angestrebt, auch nicht aus dem Versagen des ersten Cannabisarzneimittels erfolgen, sondern aufgrund der Möglichkeiten einer Verbesserung, oder bestehender Schwierigkeiten in der Handhabung. Eine erneute Begründung der weiter bestehenden nicht ganz entfernt liegenden Aussicht auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf oder auf schwerwiegende Symptome belastet Arzt und Patient, kostet den Steuerzahler unnötig viel Geld durch den Verwaltungsaufwand und stellt den verantwortungsbewussten Umgang der Patienten und Ärzten im Umgang mit Cannabis als Medikament grundlos in Frage.
Arzt, Facharzt, das Gesundheitssystem und seine Schwächen
Einen grundsätzlichen Facharztvorbehalt für die Verordnung von Cannabis (§ 46 Qualifikationen der verordnenden ärztlichen Person) in die AM-RL aufzunehmen wäre eine gute Idee, wenn wir a) ausreichend qualifizierte Fachärzte hätten und b) auch andere facharztspezifische Medikamente, wie Antidepressiva, etc. einer Prüfung durch Fachärzte vorbehalten wären. Leider können aktuell jedoch alle Ärzte Medikamente verordnen, die einer solchen Fachärztlichen Prüfung unterliegen sollten.
Fraglich ist hier warum speziell für Cannabis als Medikament eine solche Sonderregelung getroffen wird, die jetzt schon überlastete Fachärzte ohne spezielle Ausbildung zu diesem Medikament zusätzlich beansprucht. Ärzte mit einem fundierten Wissen zu Cannabis haben sich dieses außerhalb des regulären Studiums und der Facharztausbildungen erworben und sollen sich nun von anderen Fachärzten die sich dieses Wissen womöglich nicht zu eigen gemacht haben halbjährlich eine Absolution holen müssen?
Wer auch immer die G-BA berät, vertritt, in der G-BA mitentscheidet, spätestens hier zeigt sich völlig unabhängig von dem Medikament Cannabis eine unrealistische Einschätzung der Situation des Gesundheitssystems. Die Anforderungen müssen mit den realistischen Möglichkeiten der Ärzte, der Patienten abgeglichen werden. Bei den aktuellen Wartezeiten auf Facharzttermine die schon ohne diese Neuregelungen bei mehreren Monaten/Quartalen liegen ist eine Unterversorgung der Patienten, die jetzt unter diese Regelungen fallen vorhersehbar und unumgänglich. Fachärzte sind Mangelware, Fachärzte, die sich mit dem Medikament Cannabis auskennen sind rar. Die Planung am grünen Tisch durch die G-BA ist jetzt schon als unrealistische, wenn auch in weiten Teilen sinnvolle Veränderung der Handhabung anzusehen.
Glück und trotzdem Unglück
Glück haben alle Patienten, die schon eine Genehmigung für eine Therapie mit Cannabisarzneimitteln nach § 31 Absatz 6 SGB V haben. Diese wird, soweit sie vor Inkrafttreten der Regelung der AM-RL vorgelegen hat, fortbestehen und sie werden keine erneute Genehmigung benötigen. Allerdings werden auch sie auf die Suche nach Fachärzten gehen müssen.